Zeit und Zeitbegriff

Zeit im Bewußtsein

Mit der Zeit ist das eine merkwürdige Sache. Was ist Zeit? Augustinus antwortete auf diese Frage: "Wenn mich niemand fragt, dann weiß ich es; sobald ich aber gefragt werde, kann ich es nicht erklären". Der Zeitbegriff ist speziell in der westlichen Welt allgegenwärtig, ja beherrschend. Das tägliche Leben wird in Tage, Stunden, Minuten, Sekunden zerteilt, verplant. Man macht Termine und unterwirft sich dem Diktat der Uhr. "Keine Zeit!" lautet die Devise des Erfolgsmenschen. Physik und Technik shreddern die Zeit in Milli-, Mikro- Nano-, Pico-, Femto-, Atto-Sekunden und weiter. So weit, bis es aus quantenmechanischen Gründen sinnlos erscheint, über kürzere Zeiträume zu reden.

Zeit

Nochmals: "Was ist Zeit?" Eine Frage, deren Antwort Philosophen und Wissenschaftler gleichermaßen seit langem beschäftigt. Hier ein paar denkbare Antworten:

Zeitempfinden

Das Zeitempfinden der Menschen ist unterschiedlich. Zeit verfließt subjektiv alles andere als gleichmäßig. Das Zeitempfinden kann durch äußere Umstände, wie z.B. Temperatur, Streßsituationen oder Tages-/Nachtzeit beeinflußt werden. Unsere Sprache kennt sehr bildhafte Ausdrücke:

Mal vergeht die Zeit schnell, mal vergeht sie so langsam, daß man an ihr zum Mörder wird.

Auch Drogen können das subjektive Zeitempfinden stark beeinflussen.

Kann man eine solche Zeit messen?

 Galilei und Newton

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 Zeitrichtung

Jedem Menschen ist eine Zeitrichtung unmittelbar erfahrbar. Man spürt seinen eigenen Puls, schaut auf die Uhr und erfährt das Altern am eigenen Leib. Die Gewißheit des Todes ist zentrales Element vieler Religionen und der in alten Holzschnitten dargestellte Tod wird nicht ohne Grund mit dem Stundenglas abgebildet. Eine Richtung der Zeit zu empfinden oder zu erfahren, ist eine Sache. Eine andere hingegen ist es, die Richtung der Zeit physikalisch und formal in den Griff zu bekommen. Für viele überraschend, ist die Zeitrichtung keine zwangsweise Eigenschaft des Raumes. Die Mechanik Galileis oder Newtons fordert keine bevorzugte Zeitrichtung; alle durch ihre Formeln beschriebenen Zusammenhänge sind bei einer Umkehrung des Zeitpfeiles ebenfalls gültig. Vergessen wir nicht, daß die klassische Mechanik von strengen Kausalbeziehungen ausgeht. Wie wir heute wissen, ist die klassiche Mechanik ergänzungsbedürftig. Neben den statistischen Aussagen der Thermodynamik und den Formeln der Relativitätstheorie, gibt es Systeme, die sich chaotisch verhalten. Henri Poincaré stieß bei mathemtischen Arbeiten zur Himmelsmechanik auf erste Zusammenhänge dieser Art. Man muß sich nicht in den Weltraum begeben, um chaotische mechanische Systeme zu beobachten. Ein Doppelpendel kann diesen Zweck genausogut erfüllen:

***image***
Doppelpendel. Wird das Pendel mit der Masse m senkrecht
nach oben gerichtet und dann losgelassen, kann das
Schwingungsverhalten nicht vorherberechnet werden.

Die Frage nach einer bevorzugten "Richtung" der Zeit bleibt damit unbeantwortet. Die Reversibilität vieler Vorgänge stützt die Einsteinsche These, daß die Zeit lediglich eine hartnäckige Illusion sei. Wie wir wissen, sind nicht alle Vorgänge umkehrbar. Eine zerbrochene Glasscheibe setzt sich nicht wieder von selbst zusammen, wenn man den Ball, der den Schaden verursachte, zurückwirft. Der Schlüssel zur Festlegung der Zeitrichtung ist die Entropie. Die Richtung der Zeit, ist die Richtung, die durch die Zunahme der Entropie im Universum definiert wird. Uns gelingt damit die Beschreibung einer Zeitrichtung; eine Kausalitätsbeziehung gewinnen wir damit nicht. Ist die Zeit Folge der Entropiezunahme oder ist der Entropiezuwachs ein Resultat der verfließenden Zeit? Oder keins von beiden? Heutige kosmologische Theorien gehen von einem expandierenden Universum aus, wobei die Gelehrten streiten, ob alles mit einem Urknall begann und ob die Expansion irgendwann zu einem Stillstand kommt und dann das Universum wieder kollabiert. Die Frage, ob mit der Kontraktion auch eine Zeitumkehr verbunden ist, wurde eifrig diskutiert. Wie die Dinge momentan stehen, ist dies wohl nicht der Fall.

 Gleichzeitigkeit

Herbert Minkowskis und Albert Einsteins Theorien, insbesondere die spezielle Relativitätstheorie, schlugen wie eine Bombe ein und sprengten die Illusion der Gleichzeitigkeit und des gleichmäßigen Zeitflusses. Einstein zeigte, daß nur die Lichtgeschwindigkeit als einzige universal konstante Geschwindigkeit betrachtet werden darf, während alle Bewegungen von Inertialsystemen gegeneinander bewirken, daß der Zeitablauf langsamer als im ruhenden System ist. Klassisch wurde das sogenannte "Zwillingsparadoxon". Der Gedanke der "absoluten Zeit" und der Begriff der "Gleichzeitigkeit" wurden hinfällig. Dennoch gibt es Bedingungen, unter denen von einer "absoluten Vergangenheit" gesprochen werden kann.

Die spezielle Relativitätstheorie wurde Anfang der 1930er Jahre experimentell bestätigt.

Die allgemeine Relativitätstheorie liefert unter anderem das Ergebnis, daß der Zeitablauf nicht nur durch Geschwindigkeit, sondern auch durch die Gravitation beeinflußt wird. Ein sehr neues Ergebnis ist der Nachweis, daß sich auch die Gravitation dem Diktakt der Lichtgeschwindigkeit unterwirft. Gravitationswirkungen breiten sich nicht instantan aus.

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Stand: 01.03.2004 /
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