Arabische Räder

Arabische Räder, die auch persische oder indische Räder bzw. Perpetua Mobilia genannt werden, sind das älteste bekannte Konzept von ewig-beweglichen Maschinen. Das erste Rad dieser Art beschrieb der indische Mathematiker und Astronom Bhaskara um 1150. Die Mängel dieser Idee wurden von Leonardo da Vinci erstmalig schlüssig aufgezeigt, dann von Wilkins und nicht zuletzt auch von Leupold. In seinem Theatrum Machinearum generale (1724) schreibt er einleitend zum Abschnitt Perpetuum Mobile (1.Bd., S.25):

Das Perpetuum Mobile oder eine Machine, die ohne äusserliche Krafft unaufhörlich, so lang die Materialien dauren, und nicht zerbricht, sich selbst beweget, ist dem Nahmen nach heut zutage so bekanndt, daß auch die geringsten Hnadwercker, ja Schuster und Schneider, nicht nur davon zu reden wissen, sondern auch sich einbilden, daß sie dergleichen machen wolten, wenn sie nur Unkosten und Zeit hätten; denn ist eine Sache in der Welt, wornach viel mit grossen Verlangen, Zeit, Fleiß, und Unkosten gestrebet, so ist es gewiß das Perpetuum Mobile.
   [...]
Alleine weder Gold=machen, so doch das herrlichste Ding in der Welt ist, und alles vermag, noch anders, ist so von so vielen als das Perpetuum Mobile gesuchet worden; Ursach: weil bei jenem mehr Kunst und Wissenschafft in der Chymie erfodert wird, hier aber es dem Ansehen nach auf etwas weniges ankommt, nemlich daß einer nun zuwege brächte, daß das Gewichte, so nieder gehet, weit von der Achse abstehe, wenn es aber wieder in die Höhe steiget, der Achse oder Linie der Ruhe sich nähere, und seine Krafft verliere. Und hiermit haben sich sehr viel Künstler betrogen, die da gemeynet, sie hätten es bey allen 4 Zipffeln, und haben darüber viel Zeit, Kosten, ja öffters Ehr und Reputation verlohren. Ja diese Begierde ist noch heut zu Tage bey sehr vielen so tieff eingewurzelt, daß sie sich ehe todt schlagen liessen, als daß sie zugeben, sie würden selbiges nicht finden; alleine es kommet meist daher, daß solche Leuten kein Fundament in der Mechanic haben, vornehmlich aber den Abstand nicht zu berechnen wissen, und dahero auf ihre blosse Einbildung und Gerathe=wohl loßbauen.

Betrachten wir ein typisches Hebel-PM.


Hebel-Perpetuum Mobile

Dieses Maschinchen bleibt, kurz nachdem es angeworfen wurde, hin- und herschwankend stehen. Gilt hier das Hebelgesetz nicht? Es gilt. Der Erfinder hat einige wesentliche Aspekte übersehen:

     1.  Auf der linken Seite sind zwar die Hebel kürzer, aber die Anzahl der Massen größer, so daß insgesamt die Momente ausgeglichen werden können. Ich schreibe hier bewußt können, denn es gibt viele Stellungen der Maschine, in der die Momente nicht ausgeglichen sind. Bewegt man das Rad in eine dieser Positionen, so bewirkt das einseitige Drehmoment, daß sich das Rad in einen Gleichgewichtszustand bewegt. Könnten die Lagerreibung und andere Störeinflüsse ausgeschlossen werden, würde der Mechanismus ewig oszillieren, genauso, wie er ewig rotieren würde, wenn er mit genügend Schwung angeworfen wird. Im Sinne der Definition ist das aber kein PM!
In welche Richtung soll dieses Gerät bevorzugt laufen? Nach rechts, wegen der längeren Hebel? Oder nach links, wegen der größeren Anzahl Massen?
 
     2.  Für das Drehmoment ist nicht der radiale Abstand der Masse zum Drehpunkt von Bedeutung, sondern ausschließlich der Abstand zwischen der senkrecht wirkenden Kraftlinie und dem Drehpunkt. Hier unterliegen viele Laien oft demselben Trugschluß wie der Konstrukteur dieser Fahrradtretkurbel um 1900. So ist bei senkrecht nach unten in C angreifender Kraft der wirksame Hebelarm der Abstand A-C und nicht A-B.
 
     3.  Der Energieerhaltungssatz gilt für die Massen in dieser Maschine. Wenn man den Weg einer einzelnen Masse betrachtet, dann vollführt sie einen zyklisch geschlossenen Weg. Und in seiner allgemeinen Form kann der Energieerhaltungssatz in seiner Ausprägung als Potentialsatz so formuliert werden: Wird ein Körper im Gravitationsfeld auf einer geschlossenen Bahn zum Ausgangspunkt zurückbewegt, ist die dafür aufgewendete Arbeit = 0.
Anders ausgedrückt: die Arbeit, die durch die Bahn einer Masse auf der rechten Seite des Rades gewonnen wird, ist exakt die Arbeit, die notwendig ist, um dieselbe Masse wieder auf der linken Seite des Rades auf die ursprüngliche Höhe anzuheben. Die Anzahl der Arme, die Drehrichtung und die Momentangeschwindigkeit der Massen haben deshalb keinerlei Einfluß auf die (Nicht-)Funktionsweise!

Stellen wir uns vor, dieses Rad wird mit mäßiger Geschwindigkeit angeworfen. Lassen wir Lagerreibung und Luftwiderstand außer Acht, dann wird der Apparat dennoch nicht ewig laufen, sondern schnell zum Stillstand kommen. Der Erfinder hat übersehen, daß die knickenden Hebel gegen die Widerlager prallen. Egal ob dieser Aufprall elastisch oder unelastisch erfolgt, er trägt zur Verlangsamung des Laufes bei, da durch innere Reibung im Material ein Teil der Bewegungsenergie in Wärme umgesetzt wird.

Einen Vorteil hat diese Perpetuum-Mobile-Bauart. Falls sie tatsächlich funktionsfähig wäre, könnte sie nicht endlos Energie erzeugen, wenn sie nicht belastet wird. Warum das? Ab einer gewissen Drehzahl strecken sich die Hebel und die gesamte Einrichtung wirkt als Schwungrad, da der geplante Ablauf zur Erzeugung von Energie nicht mehr stattfindet. Eine beruhigende Aussicht.

William Somersets Rad

Bereits im historischen Teil habe ich das große Rad erwähnt, das William Somerset, Marquis of Worcester im Londoner Tower errichten ließ. Das Rad wird von ihm selber in seinem Buch Century of Inventions 1663 beschrieben (Kapitel 56):

To provide and make that all the Weights of the descending side of a Wheel shall be perpetually further from the Centre, then those of the mounting side, and yet equal in number and heft to the one side as the other. A most incredible thing, if not seen, but tried before the late king (of blessed memory) in the Tower, by my directions, two Extraordinary Embassadors accompanying His Majesty, and the Duke of Richmond and the Duke Hamilton, with most of the Court, attending Him. The Wheel was 14. Foot over and 40. Weights of 50. pounds apiece. Sir William Balfore, then Lieutenant of the Tower, can justifie it with several others. They all saw, that no sooner these great Weights passed the Diameter-line of the lower side, but they hung a foot further from the centre, nor no sooner passed the Diameter-line of the upper side, but they hung a foot nearer. Be pleased to judge the consequence.

Eine Abbildung aus Somersets Zeit hat sich nicht erhalten. Die erste bekannte - und häufig kopierte - Zeichnung ist diese.

Sie stammt von Désaguliers, der sie 1720 veröffentlichte. Wer ein wenig Gefühl für Technik und Maschinen hat, sollte sich fragen: kann Somersets Rad wirklich so ausgesehen haben? Eine einfache Rechnung zeigt, daß die Anzahl der Fächer und ihre Größe mit dem Durchmesser des Rades gut harmonieren. Punktförmige Massen mögen in der Theorie nützlich sein, aber in der Praxis wenig brauchbar. Aus welchem Material sind die Gewichte? Stein ist billig oder vielleicht waren eiserne Kanonenkugeln verfügbar. Die Durchmesser der Kugeln errechnen sich dann zu:

Material Dichte Durchmesser
Granit ca. 2.9 25.4cm
Eisen 7.8 18.3cm

Anders ausgedrückt: Die Kugeln haben nur wenig Bewegungsspielraum in ihrer jeweiligen Kammer, und ein realistisches Bild des Rades sieht so aus:


Sommersets Rad mit Gewichten aus Granit
Nimmt man an, daß die Trennwände der
Kammern ca. 3cm stark sind, haben die Kugeln bei
den angegeben Dimensionen des Rades keinerlei Spielraum!

Ein Beispiel dafür, wie in der Literatur Zeichnungen unkritisch übernommen werden.
Die Laufzeit des Rades könnte übrigens beträchtlich gewesen sein. Da die Gewichte sehr wenig Bewegungsspielraum hatten, ergaben sich nur geringe Asymmetrien in den links- und rechtsdrehenden Momenten. Das ganze Rad kann eher als Schwungrad, denn als arabisches Rad betrachtet werden. Ein Schwungrad von 3,6m Durchmesser und 1200kg Masse (zuzüglich der Holzkonstruktion) verliert, sobald es auf Drehzahl gebracht ist, nur sehr zögerlich an Geschwindigkeit.

Leupolds Rad

Das von Johann Jacob Leupold in seinem monströsen Werk Theatrum Machinearum abgehandelte Rad mit rollenden Kugeln ist der Prototyp einer ebenfalls immer wieder neu erfundenen Idee. Leupold wählte dieses Beispiel, um die Unmöglichkeit einer Maschine dieser Bauart zu beweisen. Die graphische Methode, die Leupold verwendete, ist prinzipiell dieselbe, die 230 Jahre vor ihm Leonardo daVinci benutzte.
Leupold war übrigens nicht der erste, der diese Art von arabischem Perpetuum Mobile beschrieb. Andreas Böckler gibt eine archimedische Schraube (keine Rezirkulations-Mühle) an, die von einem solchen Rad getrieben wird. Böckler schreibt in seinem Kommentar dieser Zeichnung zu Tafel 150:

Eine Wirbel= oder Schnecken=Kunst

Diese Wirbel=Kunst ist nicht so leichtlich nach Ansehung der Figur/ als man vermeinen möchte/ anzuordnen/ und weiset dieselbe ganz klärlich an/ daß der inventor oder Erfinder dieses wercks eine immerwährende Bewegung oder perpetuum mobile, damit gesuchet/ dasselbige aber schwerlich ins Werck gerichtet/ und zu wegen gebracht haben wird/ welches wir ohne Nachteil dem Erfinder zu Ehren/ an seinem Ort dahingestellet seyn lassen wollen/ erachten es auch für unnöthig die proportion und Austheilung des Rades mit den Kugeln hierinnen zu beschreiben/ welches wir gesinnet (geliebts GOtt) ins künfftig einem eigen Tractat/ de perpetuo mobili, heraus zu geben/ worinnen dann die eigentliche Beschaffenheit/ dieses und vieler andern dergleichen Dingen befindlich seyn wird/ demnach der Kunstbegierige biß dahin unterdessen sich gedulten/ wir hiermit freundlich gebetten haben wollen.

 

George Lintons Patent

Ein besonderes arabisches Rad mit beweglichen Armen und Kugeln und darf in keiner Publikation über Perpetua Mobilia fehlen. Es wurde von George Linton erfunden und mit dem englischen Patent 4632 vom 22.12.1821 anerkannt. Diese Maschine ist für mich ein Beipiel, wie ein Autor vom anderen abschreibt, und nach jedem Abkupfern sieht die Apparatur etwas anders aus und der Erfinder hat einen neuen Namen. Am Schluß hat die Maschine mit der ursprünglichen Idee nur noch entfernte Ähnlichkeit.
Lintons Original-Patentzeichnung (mit kleinen Fehlern)... ...ist hundertfünfzig Jahre später kaum noch wiederzuerkennen (Michal, S.32; zitiert nach Daul). Auch mit kleinen Fehlern, aber anderen.

Der Erfinder mußte sich folgende Namen gefallen lassen:


Stand: 23.02.2004 /
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