Textpassage zitiert aus:

Ichak, Frida:
Das Perpetuum Mobile
B.G. Teubner Verlag, 1913

basierend auf

Robert Boyle:
An Historical account of a strangely self moving Liquor
Philosophical Transactions Nr. 176, p. 1188, vol. 15
Royal Socioety, London, 1685.

"Ein ausgezeichneter Lehrer der Mathematik hatte eine neue Feuermaschine erfunden und die Erlaubnis erhalten, dieselbe seiner Majestät dem König vorzuzeigen. Dabei stellte er ein Gemenge von verschiedenen Ingredienzien in einem irgenen Topfe über glühende Kohlen. Da fing die Mischung Feuer, so daß er sie so hastig wie möglich löschen mußte. Er nahm daß Gefäß vom Feuer und als die Mischung wieder erkaltet war, sah er nach derselben, um zu ermitteln, was von ihr noch übrig geblieben sei. Er war aber nicht wenig erstaunt, als er sah, daß die übriggebliebene Flüssigkeit sich lebhaft bewegte. Er stellte sie noch einmal zur Seite, damit sie völlig erkalte. Als er nach einigen Stunden wieder nachsah, fand er, daß sie wie vorher in Bewegung war. Er warf dann eine Menge Sämereien darauf, um zu sehen, ob die Flüssigkeit die Bewegung auf sie übertragen würde. Aber der teerartige Teil der Flüssigkeit verband sich mit den Sämereien und bildete einen Schaum, der sich auf der Oberfläche ausbreitete: dazwischen konnte man jedoch sehen, wie sich die Flüssigkeit fortwährend bewegte.

Zwei Tage später, als der Erfinder mit mir von seiner Feuermaschine sprach, erzählte er auch von dem seltsamen Fall. Als ich ihn fragte, ob die Bewegung noch fortdauerte, antwortete er bejahend, und da wurde meine Neugier so groß, daß, obwohl es bereits dunkle Nacht und schlechtes Wetter war, ich bat, mir den Topf, wie er war, holen zu lassen. Ich wollte mich einerseits des Vorkommnisses vergewissern und andererseits versuchen, mit denselben Ingredientien, die er mir aufzählte, denselben Erfolg zu erzielen.

Nachdem das Gefäß angekommen war, zeigte die darin enthaltene Flüssigkeit, obwohl sie infolge des etwas zu hastigen Transports ziemlich durcheinander geschüttelt war, die Anzeichen derselben Bewegung, wie sie mir der Erfinder beschrieben hatte. Derselbe war auch geneigt, sie mir zu überlassen, und so ließ ich sie in mein Laboratorium setzen, wo einige Öfen die Luft beständig warm erhielten. Hier, ebenso wie an anderen Orten sah ich von Zeit zu Zeit nach der Flüssigkeit, hie und da den Schaum abnehmend, der in dicker Schicht die Oberfläche bedeckte; dabei hatte ich Gelegenheit, verschiedene Phänomene zu beobachten, von denen die folgenden die wichtigsten sind:

  1. Ich beobachtete, daß die Bewegung der Flüssigkeit nicht nur heftig, sondern auch wechselnd war; als ich einen Teil des Schaumes vom Reste abgelöst hatte, wurde eine Hälfte davon im Nu nach rechts gezogen, während die andere zu gleicher Zeit nach links ging.
  2. Wo die Flüssigkeit aus dem Schaum herausquoll, schien sie sich am lebhaftesten, wie ein Strom zu bewegen, der vorwärts getrieben wird, aber durch ein ihm im Wege stehendes Hindernis zurückfließen muß.
  3. Einige Bewegungen dieser Flüssigkeit konnten besser beobachtet werden, denn obwohl sie dunkel war, erschien sie ungleichförmig. Sie bestand teilweise aus öligen und teerigen Bestandteilen, die zwar mit dem übrigen Teil der Flüssigkeit dieselbe Oberfläche hatten, aber durch Farben und ihre Heftigkeit das Licht reflektierten und sich leicht vom übrigen Teil unterscheiden ließen. Ich bemerkte oft, daß einige der klebrigen Teile der Substanz, wenn sie an die Oberfläche stiegen, obwohl sie anfangs kaum größer als ein Stecknadelkopf schienen, bei ihrer Fortbewegung, ringsum auseinander gingen und dann einen großen Hof um sich bildeten, der die Farben des Regenbogens hatte und ein amüsantes und zuerst überraschendes Schauspiel boten. Diese phantastischen Erscheinungen folgten manchmal so rasch aufeinander und blieben so lange sichtbar, bis sie wieder unter dem dicken Schaume verschwanden.
  4. Die Bewegungen dieser seltsamen Flüssigkeit waren nicht nur abwechselnd, sondern zuweilen auch wirbelnd. Um mich davon zu überzeugen, warf ich manchmal kleine Stückchen Stroh oder Teilchen irgendeines anderen leichten Stoffes auf die Oberfläche, wodurch diese auch jedesmal gleich nach der anderen Seite des Gefäßes geschleudert wurden. Um diese Wirbelbewegung sichtbar zu machen, löste ich manchmal ziemlich große Portionenen Schaum vom übrigen Teil und hatte das Vergnügen, ihn in allmählich sich bildenden Schlangenlinien und durch eine Bewegung seiner mittleren Teile sich rühren zu sehen. All dies geschah, während die Flüssigkeit sich ganz kalt anfühlte.
  5. Um zu sehen, ob das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein der Luft auf die Flüssigkeit eine Wirkung ausübe, ließ ich mehrere Löffel davon mit etwas Schaum darauf in ein zylindrisches Glas tun, das ziemlich groß war und einen etwa daumengroßen Hals hatte, so daß es sich mit einem Kork gut verstopfen ließ. Als ich nun auf diese Art die freie Luft verhindert hatte, in eine volle und unmittelbare Berührung mit der ganzen Oberfläche der Mischung zu kommen, wie es früher der Fall gewesen war, konnte ich keine Hin- und Herbewegung der Flüssigkeit beobachten, selbst nicht wenn ich das Gefäß offen ließ. Wenn ich aber ein wenig von der Flüssigkeit in ein sehr flaches und weites Gefäß goß, bewegte sie sich wieder ebenso lebhaft und verschiedenartig, wie im großen irdenen Topf (der dieselbe Form hatte) und zuweilen lebhaft und sich von selbst ausdehnende Kreise zeigte wie unter Nummer 3. Und diese Kreise boten durch ihre Feinheit sowie die Schnelligkeit, mit der sie aufeinander folgten, ein ergötzliches Schauspiel, solange ich dastand, um die Flüssigkeit zu beobachten.
  6. Obwohl die Bewegungen der erwähnten Flüssigkeit immer fortdauerten, so schienen sie einigermaßen unter dem Einfluß der Witterung zu stehen, wenn sie auch immer sehr lebhaft waren, ob es warm oder kalt war; ebenso bewegte sie sich sowohl bei Kerzen- als auch bei Tageslichte. Als ich mich nicht wohl fühlte und nicht selbst danach sehen konnte, beauftragte ich einen anderen um 10 Uhr nachts nachzusehen; und mir wurde stets die Nachricht gebracht, daß die Flüssigkeit sich in bisher beobachteter Weise weiter bewege. Und so hat sie sich 10 Tage in Bewegung erhalten, und wie lange sie sich noch immer bewegen wird, wird die Zeit zeigen."

Hier endet die von Ichak wiedergegebene Übersetzung. Doch auch der Rest des Berichts sei wiedergegeben (Übersetzung Gramatke):

"Postskriptum

Als ich einige Zeit, nachdem der vorangegangene Bericht verfaßt wurde, erneut die Flüssigkeit ansehen wollte (die in der Zwischenzeit mehrfach beobachtet wurde und ihre Bewegungen beizubehalten schien), fand ich zu meiner Verärgerung, daß durch irgendjemandes freche Neugier und Sorglosigkeit der unteren Teil des irdenen Topfes zerbrochen wurde, so daß durch die Öffnung die Flüssigkeit, aber nicht der Schaum, herausgeronnen waren, was meine Beobachtungen beendete. Da ich aber vorausgeahnt hatte, daß so etwas passieren könnte, hatte ich schon lange zuvor einige Löffel der Flüssigkeit in eine Flasche gefüllt und dicht verschlossen. Dadurch hatte ich die Möglichkeit zu beobachten, daß, wenn die Flüssigkeit in ein weites Gefäß gesgossen wurde, sie sich wieder wie zuvor bewegte, obwohl dies mehrere Wochen danach stattfand. Und ich erinnere mich, daß noch lange danach, als ich die Ehre des Besuches eines ausländischen Ministers hatte, der sehr wißbegierig und belesen war, das Gespräch unter anderem auf diese Flüssigkeit kam. Und obwohl ich es kaum zu hoffen wagte, daß sie immer noch etwas von ihrer Beweglichkeit hatte, ließ ich die Flasche holen, um seine Neugier und die einiger anderer kluger Männer zu befriedigen. Nachdem ich die Flasche geöffnet und die Flüssigkeit in ein geeignetes Gefäß gegossen hatte, waren wir freudig überrascht, sie wieder in vielfältiger Bewegung zu sehen (wenngleich wie mir schien, nicht so heftig wie früher). Dies ließ mich denken, es sei möglich, daß sie einige Bewegung beibehielte. Nach 7 oder 8 Wochen, also am 25. Juli ,beobachtete ich sie erneut, und nachdem ich sie in eine Tasse gegossen hatte, zeigte sie zuerst eine starke und vielfältige Bewegung. Doch diese ließ nach einer Weile nach, sodaß ich den Verdacht hatte, diese sei durch das Ausgießen bedingt, und der erste Kontakt mit der Luft hätte den größten Teil der Bewegung verursacht. Doch da dies nur eine Vermutung war, stellte ich das Gefäß in verschiedene Positionen vors Fenster, um die Ursache des Phänomens zu ergründen, doch dabei passierte mir das Mißgeschick, die Tasse zu kippen, und damit floß die Flüssigkeit aus und beendete alle meine Spekulationen. Zwar hinderte mich dieses Mißgeschick daran zu beobachten, wie lange die Bewegung noch gedauert hätte, doch nicht, herauszufinden, daß sie eine sehr lange war. Denn als ich die Flüssigkeit dem ausländischen Minister zeigte, war es Anfang Juni, also fünf Monate oder länger, seitdem die Bewegung der Flüssigkeit das erstemal beobachtet wurde."


Stand: 18.12.2003  Fenster schließen