Fast- und Schein-Perpetuum Mobiles

Manche Mechanismen kommen dem Ideal des Perpetuum Mobiles sehr nahe oder scheinen auf beängstigende Weise dem Energieerhaltungs-Prinzip zu widersprechen. Doch immer geht alles mit rechten Dingen zu.

Trinkender Vogel

Mit freundlicher Genehmigung von Ostrach-Glas

     Manchem wird der trinkende Vogel bekannt sein, der aus einem Glasbehälter besteht und eine Flüssigkeit enthält, die hermetisch eingeschlossen ist. Der Vogel ist drehbar auf einem Fußgestell gelagert. Stellt man vor diesen Vogel ein Glas Wasser und taucht den Schnabel des Vogels einmal ein, so wird der Vogel immer wieder eintauchen und sich wieder aufrichten. Wie funktioniert das? Das Geheimnis des Antriebes ist Verdunstungswärme.
Die Flüssigkeit im Inneren des Vogels verdunstet sehr leicht. Der Schnabel des Vogels ist mit einer filzähnlichen Schicht bedeckt, die etwas Wasser aufsaugen kann. Sobald sich der Vogel aufgerichtet hat, verdunstet das Wasser, was dem Kopf des Vogels Wärme entzieht. Die Flüssigkeit im Inneren kondensiert, und das Vorderteil des Vogels bekommt wieder Übergewicht.

Perpetuierliche Uhren

Otto von Guericke nannte um 1655 das Wasser- bzw. Quecksilberbarometer semper vivum, was sinngemäß dasselbe bedeutet wie Perpetuum Mobile. Naheliegend der Gedanke, daß eine Ursache, die eine Flüssigkeitssäule hebt und senkt, auch eine kleine Maschine antreiben kann. Im 17. Jhdt. gab es bereits einige Uhren, deren Aufzugsmechanismus von barometrischen Geräten betätigt wurde. Manche dieser Maschine waren lächerlich groß und wogen mehrere hundert Kilo! Alles nur, um ein Uhrwerk in Gang zu halten.

Es gab andere Uhren, die von unsichtbar eingebauten Federmechanismen angetrieben wurden. Diese Uhren waren auf möglichst leichtgängige Mechanik und lange Gangreserve ausgelegt. Nicht verwunderlich, daß manche von ihnen für echte Perpetuua Mobilia gehalten wurden.


Die Atmos-Uhr
mit freundlicher Genehmigung von Mike Murray
     Das Schweizer Uhren-Unternehmen Jaeger-Culture stellt die moderne Variante einer Uhr her, die unter der Bezeichnung "Atmos" vertrieben wird. Diese Uhr bezieht die mechanische Energie zum Aufzug des Federwerkes aus den wetterbedingten Schwankungen des Luftdruckes und der Temperatur, die selbst in gut klimatisierten Räumen ausreichend sind, um das Werk in Gang zu halten.

Wärmepumpe

Der Wirkungsgrad einer Wärmepumpe wird oft mit Zahlenwerten von 250% bis 350% angegeben. Handelt es sich folglich um ein Perpetuum Mobile? Mitnichten ist die Wärmepumpe ein Maxwellscher Dämon in technischer Gestalt. Hier liegt eine Verwechslung des Wirkungsgrades mit dem Leistungsfaktor vor. Insgesamt betrachtet ist die Wärmepumpe eine Maschine wie jede andere auch: Sie gibt nicht mehr Energie her, als in sie hineingestopft wird.

Belusov-Zhabotinsky-Reaktionen

Es ist wohlbekannt, daß chemische Reaktionen nicht nur in der erwünschten Richtung verlaufen, sondern in vielen Fällen auch umkehrbar sind. Bis in die 1950er Jahre hinein war das Weltbild der Chemie dadurch geprägt, daß jede anständige Reaktion bei bestimmten äußeren Bedingungen (z.B. Temperatur, Druck) zu einem Gleichgewichtszustand findet, bei dem eine bestimmte Menge des Reaktionsproduktes erzeugt wird. Für wirtschaftliche Anwendungen versucht man, durch das Beeinflussen der äußeren Bedingungen eine möglichst gute Ausbeute zu erzielen.

1955 war verstanden, wie der Zitratsäurezyklus des Stoffwechsels im Organismus funktioniert. Ein Herr Belusov wollte diesen Zyklus vereinfacht im Labor nachbilden und reduzierte die Sache auf ein Minimum. Das Verrückte war: Belusov fand eine oszillierende chemische Reaktion. Das stand im krassen Widerspruch zur vorherrschenden Lehrmeinung und schien auch den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik zu verletzen. So überrascht es nicht, daß Belusov gewaltige Probleme hatte, seine Entdeckung oszillierender chemischer Vorgänge zu publizieren. Er wurde schlicht als Spinner und Betrüger abgetan. Sein zweiter Anlauf, Anfang der 1960er Jahre seine Ergebnisse zu veröffentlichen, führte zu einer Fußnote in einem Tagungsband. Das war's. Belusov gab auf. Das Establishment hatte gesiegt - und in diesem Fall unrecht. 1968 erfuhr Zhabotinsky von Belusovs Ergebnissen und, im Gegensatz zu Anderen, prüfte er die Sache experimentell nach, was übrigens weder besonders schwierig noch besonders kostenintensiv ist. Die Ergebnisse waren reproduzierbar! Erst jetzt war die Zeit reif für die Akzeptanz der Resultate. Heute haben diese Reaktionen dazu geführt, daß die Theorie chaotischer Systeme auch in der Chemie eine Rolle spielt. Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik gilt nach wie vor, aber inzwischen weiß man mehr darüber, wie "Entropiesenken" in komplexen Systemen entstehen können.

Und Belusov? Er erhielt für seine bahnbrechende Entdeckung1980 den Lenin-Orden. Posthum.

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Stand: 18.12.2003 /
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