Abläufe

Allgemeines

Das erste Prinzip jeglicher Bedienabläufe muß sein, dem Bediener die Verwendung der Benutzeroberfläche so einfach wie nur irgend möglich zu erlauben, unnötige Aspekte wegzulassen und ein durchgängiges Bedienprinzip zu vermitteln, das dem Anwender gestattet, ihm unbekannte Funktionalitäten der Bedienoberfläche sinngemäß zu erfassen, zu verstehen und spontan nutzbringend einzusetzen. Die zentralen Begriffe sind hier Einfachheit und durchgängiges Bedienprinzip.

Einfachheit

Einfachheit bedeutet nicht, daß eine Benutzeroberfläche primitiv und ungeschlacht sein soll. Einfachheit äußert sich in vielen Aspekten, die hier näher beleuchtet werden sollen.

Kriterium Einflußgrößen
Anzahl und Gliederung der Eingabelemente Wieviele Bedienelemente sind vorhanden? Wieviele Freiheitsgrade haben die jeweiligen Bedienelemente? Sind die Bedienelemente gut unterscheidbar, ggf blind bedienbar?
Gliederung des Bildschirminhaltes Ist der Bildschirminhalt gut gegliedert? Wird Wichtiges hervorgehoben, Unnötiges vermieden?
Verwendung von Hintergrundbildern Erleichtert das Hintergrundbild das Erkennen einer Betriebssituation? Verwirrt das Hintergrundbild und lenkt es ab?
Verwendung von Hilfs- und Führungslinien Sind real vorhandene Hilfslinien vorhanden? Ist die Anordnung von zusammengehörigen Teilen der Bedienoberfläche anhand von (unsichtbaren) Führungslinien erkennbar?
Verwendung von Texten Sind Meldetexte kurz und eindeutig? Sind die Beschriftungen von Menüpunkten knapp und prägnant?
Anzahl Bedienschritte zum Erzielen eines bestimmten Resultates Werden wenige Bedienschritte benötigt? Sind wichtige Hauptfunktionalitäten mit einem Bedienschritt erreichbar?
Selbsterklärung Ist die Bedienoberfläche auch ohne Anleitung oder Schulung benutzbar?
Häufigkeit von Fehlbedienungen Sind Fehlbedienungen möglich/ ausgeschlossen? Wird ein bestimmtes Resultat ohne Fehlbedienungen erzielt?
Mehrdeutigkeiten Gibt es Bediensituationen, in denen der Bediener anhand der Informationen, die ihm präsentiert werden, nicht eindeutig entscheiden kann, wie die Interaktion fortgesetzt werden soll?
Mißverständlichkeiten Gibt es Bediensituationen, in denen der Bediener anhand der Informationen, die ihm präsentiert werden, in einer nenenswerten Anzahl der Fälle den falschen Weg beschreitet?
Erwartungshaltungen Werden Erwartungshaltungen erfüllt?

Im Zuge eines Projektes, desen Ziel die Gestaltung einer Bedienoberfläche sein soll, stellt sich häufig die Frage, welche von zwei oder mehreren Alternativen die für den Benutzer die einfachere ist. Um emotionalen Diskussionen vorzubeugen, sollte ein Meßverfahren geschaffen werden, anhand dessen eindeutig bestimmt werden kann, welche der Lösungen die günstigere ist. Welche der Kriterien mit welcher Gewichtung aufgenommen werden, ist den Gestaltern der Benutzeroberfläche überlassen.

 Bedienprinzip

Die Verwendung eines Bedienprinzips erleichtert dem Bediener die Verwendung und das Erlernen eines Systems. Ein Bedienprinzip kommt der menschlichen Denkstruktur entgegen, Abläufe zu abstrahieren und anhand der Abstraktion Generalisierungen vorzunehmen. Die Generalisierung erlaubt das Applizieren auf eine neue Situation. Die Erwartungshaltung dabei ist, daß die Anwendung die erwarteten Reaktion bewirkt. Zwei Beispiele:

  1. Ein Anwender vermutet, daß mit dem Schalter "on/off" ein ihm unbekanntes Gerät ein- und ausgeschaltet werden kann. Hier findet zunächst die Anwendung einer Generalisierung statt. "on/off war in allen mir bekannten Situationen zum ein- und ausschalten da - also wohl auch hier". Erst die konkrete Verwendung des Schalters bestätigt jedoch die Erwartungshaltung und die Gültigkeit der Generalisierung in dieser speziellen Situation.
  2. Ein Anwender erkennt, daß das probeweise Betätigen einer Taste mit unbekannter Symbolik einen Hilfetext zur konkreten Bediensituation anzeigt. Der Anwender gibt sich nach dem "Ausprobieren" der Taste zufrieden, benutzt aber weiterhin das interaktive System. In einer ihm unvertrauten Bediensituation erinnert sich der Anwender der einstmals probeweise verwendeten Taste. Die naheliegende Abstraktion "Bei den wenigen Verwendungen gab es immer Hilfestellung" führt zur Generalisierung "das ist eine Hilfetaste!" Die konkrete Verwendung in der Betriebssituation kann nun den Benutzer bestätigen - oder enttäuschen.

Ein durchgängiges Bedienprinzip wird davon getragen sein, den Erwartungshaltungen des späteren Benutzers gerecht zu werden, d.h. erkannte Verhaltensweisen und Eigenschaften des Systems zu abstrahieren, zu generalisieren und in der konkreten Situation zu applizieren.

Voraussetzung dazu ist allerdings, daß bei der Gestaltung des Systems einheitliche Grundprinzipien zur Regel erhoben und im späteren System auch implementiert werden. Dies darf aber auf keinen Fall bedeuten, daß alle Teilfunktionen eines komplexen interaktiven Systems über einen Kamm geschoren werden! Wer auf diese Weise jegliche Funktionalität in ein starres Schema zwängt, handelt nicht anders als der sagenhafte Wirt Prokrustes1, dessen Gäste häufig mit der Paßform der Betten unzufrieden waren.

 Zielpersonen

Der Zielpersonenkreis einer Benutzeroberfläche sollte stets bedacht werden. Die nachstehende Aufstellung gibt einige Beispiele für Zielpersonen...

  1. Renterin, 76 Jahre alt, kurzsichtig. Will mit dem selten genutzen Fahrzeugnavigationssystem in ihrem Auto zielgerichtet die Straße anfahren, in der eine alte Bekannte wohnt. Leider ist diese Dame umgezogen und außer der Zieladresse ist der Fahrerin nichts bekannt.
  2. Kampfflugzeugpilot, 34 Jahre alt. Beste körperliche Reaktionen, ausgezeichnetes Gehör und überdurchschnittliche Sehfähigkeit. Erfaßt berufsmäßig Dutzende von Bedienelementen im Cockpit und ist mit hochkomplexen, zeitkritischen Bedienabläufen durch langjähriges Training vertraut. Morgen muß er seinen neuen Videorecorder programmieren, den er zu Weihnachten geschenkt bekommen hat.
  3. Industriewerker, Fremdarbeiter der zweiten Generation. Er spricht zwar leidlich Deutsch, aber hat wenig Erfahrung als Schichtführer. Heute vertritt er den Schichtmeister im Fertigungsbetrieb einer großen Automobilfirma und wird mit einer Störung im Bandablauf seiner Linie konfrontiert. Die Störung ließe sich anhand der Bildschirminhalte der Fertigungsmaschinensteuerungen (Roboter, Bandsteuerung, Produktplanungssteuerung...) erfassen. Leider stammen alle diese Bedienoberflächen von unterschiedlichen Herstellern.
  4. Sabine (9) hat eine neue Spielekonsole geschenkt bekommen. Mit dem Lesen der Fachausdrücke hapert es noch ein wenig. Doch wie bekommt Sabine ein neues Spiel in Gang, wenn ihr Vater, der mit hoher Wahrscheinlichkeit weiterhelfen könnte, für zwei Wochen auf einer berufsbedingten Reise nicht verfügbar ist?

Diese Beispiele sind alltäglich. Doch nicht jedes dieser Beispiele erfordert gleiche Gestaltung der Benutzerschnittstelle. Nochmals der Reihe nach:

  1. Die Rentnerin ist eine Kundin des Automobilherstellers bzw. Navigationssystemherstellers. Die Benutzeroberfläche des Navigationssystems sollte einfach und eingängig sein, da der Hersteller auf jeden Fall ein weites Spektrum von Anwendern erwarten muß.
  2. Der Kampfflugzeugpilot sitzt in einem Kampfflugzeug. Folglich kann der Entwickler der Benutzeroberfläche davon ausgehen, daß der Bediener durch eine geeignete Schulung und entsprechendes Training mit der Oberfläche vertraut ist. Einfachheit ist nicht immer die primäre Forderung, da eine zweckmäßige Informationsdarbietung in der Einsatzumgebung dem Laien unverständlich sein darf. Den Videorecorder aber hat der Pilot zuvor noch nie verwendet. Obwohl das Gerät im Vergleich zum Kampfflugzeug technisch einfach ist, kann es durch eine ungünstig gestaltete Bedienoberfläche große Enttäuschung bewirken.
  3. Der Fremdarbeiter ist zwar fachlich qualifiziert, muß aber dennoch aufgrund sprachlicher Barrieren Hindernisse überwinden. Der Hersteller der Bedienoberflächen täte gut daran, die Präsentation darauf auszurichten, daß Notbetriebsarten auch durch unvertraute Kräfte sicher durchführbar sind.
  4. Sabine wird nach zwei Wochen Wartezeit entweder sehr ungeduldig sein, oder aber das Interesse verloren haben. Eine Benutzeroberfläche sollte so gestaltet sein, daß auch unvorhergesehene Bedienfälle durch ein Laienpublikum bewältigt werden können.


1Anmerkung zu Prokrustes: Wer die Sage nicht kennt, dem sei hier kurz nachgeholfen: Prokrustes galt als trefflicher Wirt. Seine Betten waren, wie heute auch noch üblich, alle gleich lang. Um den Betten gerecht zu werden, maß er seine Gäste. Jene, die zu kleinwüchsig waren, streckte er auf einer Streckbank, bis sie in die Schlafstatt paßten; den zu groß geratenen Gästen hieb Prokrustes die Füße ab. Heute sollte ein etwas kundenfreundlicheres Verhalten im Vordergrund stehen. Zumindest bei Benutzeroberflächen sollte sich das "Bett" nach dem Menschen richten.


Stand: 20.11.2002 /
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